Valentina Kerscher gewinnt
Schreibwettbewerb der Hanns-Seidel-Stiftung
Die Schulfamilie ist sehr stolz und gratuliert Valentina Kerscher aus der Klasse 9cKM ganz herzlich: Sie gewann den diesjährigen Schreibwettbewerb „Die Feder“ der Hanns-Seidel-Stiftung, dessen Ziel es ist, den kreativen Umgang mit Sprache zu fördern und persönliche Schreibbiographien zu unterstützen. Er steht unter der Schirmherrschaft der bayerischen Landtagspräsidentin Ilse Aigner.
Aufgerufen waren Autorinnen und Autoren jeglichen Alters, ihre gattungsunabhängigen Beiträge in den Kategorien „Geschichten für Kinder“ (6 bis 12 Jahre) oder „Geschichten für Jugendliche“ (13 bis 18 Jahre) einzureichen. Sie sollten eine maximale Länge von 20.000 Zeichen aufweisen und sich in diesem Jahr mit dem Thema „Grenzenlos“ auseinandersetzen. Am Ende zählte man knapp 250 Einsendungen, aus denen 39 Siegergeschichten ausgewählt wurden.
Nachdem Valentina schon im Unterricht mit ihren kreativen schriftlichen Arbeiten mehrfach die Klasse in großes Staunen und den Deutschlehrer in Begeisterung versetzt hatte, nahm sie heuer zum zweiten Mal an diesem Wettbewerb teil und konnte nun auch die Jury, der Vertreter von Kinder- und Jugendbuchverlagen, Schriftsteller, Lehrkräfte und Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung angehören, offenbar vollends überzeugen.
Die Preisverleihung fand am 17. Mai 2024 im Konferenzzentrum München statt. „Kreatives Schreiben ist so viel mehr als nur die Erstellung eines Textes – es ist Eintauchen in die eigene Fantasiewelt, die Kraft und den Spaß spüren, etwas Eigenes zu erschaffen“, sagte der Stiftungsvorsitzende Markus Ferber in seiner Rede vor den Preisträgern.
Weiter dankte Ferber „den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge, egal welchen Genres, die uns in ihre Gedankenwelt mitgenommen und das Thema ‚Grenzenlos‘ auf ganz unterschiedliche Weise interpretiert und persönlichen Bezug genommen haben.“ Es sind emotionale Geschichten, wie Grenzen geschaffen oder auch eingerissen werden.
Jeder Preisträger erhielt eine Urkunde, ein Preisgeld von 100 Euro, einen Pokal sowie eine gedruckte Veröffentlichung des eigenen Texts in einem Sammelband.
Text und Bild: Oliver Raith
Hier Valentinas Siegertext, der in bester Tradition der Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert aus der unmittelbaren Nachkriegszeit steht, aber schmerzliche Aktualität besitzt:
Ein Spätsommertag im Winter
Irgendwann zwischen damals und heute:
Der scharfe, kalte Wind fuhr ihm unter die Uniform. Sein Blick ausdruckslos in die Ferne
gerichtet. Seine Füße bereits taub vom vielen Laufen und der Kälte. Vielleicht waren auch
schon einige Zehen abgefroren. Er würde es nicht einmal selbst sagen können. Spüren
konnte er sowieso nichts mehr. Seine Finger steckten zwar in Handschuhen, aber die waren
so dünn, dass er sie ebenso hätte weglassen können. Es hätte keinen Unterschied gemacht.
Getrockneter Schlamm und Blut kleben in seinem Gesicht. Tränen konnte er nicht mehr vergießen. Es war fast, als ob irgendetwas in ihm erkaltet wäre, so wie seine Füße.
Zitternd schleppte er sich die letzten Meter zu ein paar Baumstämmen, die am Rande des Felds lagen. Vorsichtig ließ er sich zwischen zwei davon gleiten. Lehnte sich an einem dritten hinter ihm an und schlang die Arme um seinen Körper. Kurz schloss er die Augen, aber riss sie in der nächsten Sekunde grauenerfüllt wieder auf. Schlafen würde er heute Nacht nicht können. Nun, vermutlich hätte er das sowieso nicht gekonnt, doch jetzt könnte er nicht einmal, wenn er wollte.
Er wusste nicht, wie sich der Tod anfühlte, auch wenn er ihn jeden Tag sehen musste.
Das Sterben – ja, von dem wusste er, wie es war. Zumindest wenn man so starb wie sie.
Und es könnte schlimmer nicht sein. Aber wie war der Tod? Er wusste es nicht. Und doch fühlte er sich, als sei er bereits tot. Ausgesaugt, bis nichts mehr von ihm übrig war.
Es schien ihm, als seien all die Bilder und Gedanken aus seinem Gehirn gelöscht. Er fühlte keine Zuversicht, keinen Mut, keine Euphorie, kein Vertrauen. Er war so naiv gewesen.
Nun fühlte er nicht einmal mehr die Wut, den Hass, die Einsamkeit, die Verzweiflung.
Zwei Vögel schwangen sich über ihm durch den wolkenbehangenen Himmel.
Langsam streifte er sich die verdreckten Handschuhe ab und begutachtete seine Finger. Blau und rot. Aber noch nicht abgestorben.
Vorsichtig griff er in seine Jackentasche und zog einen Brief heraus. Feldpost, die er heute in den frühen Morgenstunden erhalten hatte.
Mit zitternden Fingern faltete er das Stück Papier auseinander.
Geliebter Vater,
ich hoffe, es geht dir gut. Wir vermissen dich so sehr. Mama hat heute Morgen deinen
Lieblingskuchen gebacken. Ich weiß nicht, wann dich dieser Brief erreicht, aber ich schreibe
ihn an deinem Geburtstag. Wir wünschen dir alles Gute!
Es ist gerade alles sehr viel. Das Geschäft läuft gut, weil alle was zu essen brauchen, aber es ist sehr anstrengend für uns und Mama. Jeden Abend beten wir für dich und jeden Morgen, wenn wir aufwachen, gelten alle unsere Gedanken dir.
Ich soll dir auch von Mama und meiner Schwester ausrichten, dass sie dich so sehr lieben. Bitte komm wieder nach Hause.
Deine dich über alles liebende Tochter
Seine Augen flogen wieder und wieder über die Zeilen. Lasen jedes Wort zweimal.
Er ließ den Brief sinken, legte den Kopf in den Nacken und schrie. Es war ein schrecklich anzuhörendes Geräusch.
Die beiden Vögel waren längst verschwunden, als er wieder
verstummte. Sein Rachen fühlte sich nun taub an.
Doch jetzt konnte er weinen. Heiße Tränen strömten über seine erkalteten Wangen und er weinte so sehr, dass es ihn vor Schluchzern schüttelte; weil er nicht für sie da sein konnte. Weil sie ihn brauchten und er nicht da war. Weil er sie so schrecklich vermisste. Weil er sie vielleicht nie wiedersehen würde.
Keiner fragte, wo er so lange war, als er wieder das Lager betrat. Seine schweren Schritte knirschten im Schnee. Die Dunkelheit hielt langsam über der Welt Einzug. Er lächelte nicht.
Doch da war eine seltsame Wärme in seiner Brust, die vorher nicht da gewesen war.
Es war vermutlich die eine Sache, die ihn am Leben hielt. Sie war wie ein warmer Mantel an kalten Tagen. Wie eine Umarmung für sein armes, geschundenes Herz. Er wusste, sie war der Grund, warum er überhaupt zurückgekehrt war. Warum er nicht einfach auf dem einsamen Feld geblieben war und dort das Zeitliche gesegnet hatte.
Er wagte es nicht, sie zu benennen. Diese eine wertvolle Sache, die nun heller in seiner Brust brannte als das Lagerfeuer vor seinen Augen. Aber als er sich zu den anderen ans Feuer setzte, hinter deren Augen grenzenlose Leere zu sein schien, steckte er seine klammen Hände in die Jackentasche und umfasste den Brief. Drückte ihn so fest er konnte, als klammerte er sich daran fest und dankte im Stillen seiner Tochter. Dankte dem Feldpostbeamten, ihm den Brief an diesem Morgen übergeben zu haben.
Er schaute auf. Fast alle aus der kleinen Runde sahen in die Flammen.
Mit blutigen Händen und schmutzigen Uniformen. Er schloss die Augen. Rief sich das Bild seiner kleinen Familie ins Gedächtnis. Wie sie eines schönen Spätsommertages zusammen auf einer Wiese gelegen hatten. Wie seine Kinder mit roten Wangen und wehendem Haar durch das hohe Gras tobten und sich dann neben sie fallen ließen.
Es war ihm, als hörte er ihr Lachen in weiter Ferne. Er hörte, wie ihm seine Frau ins Ohr flüsterte, wie sehr sie ihn liebte. Spürte die warme Luft auf seiner Haut.
Irgendwann spürte er nur noch die Wärme des Feuers, das ihn völlig umgab. Seine Gedanken rein. Sein Herz voll mit Liebe. Und vielleicht sogar mit etwas Hoffnung. Hoffnung auf eine ungewisse Zukunft.
Tief im Inneren hoffte er, dass auch die anderen diesen Funken Hoffnung noch spüren konnten. Dass sie diese unendliche Liebe spüren konnten, so wie er es konnte. Dass sie ihnen in die Glieder fuhr so wie spitze Pfeile, ihnen durch jede Zelle ihres Körpers schoss wie Stromschläge, die ihnen wieder Leben einhauchten. Dass sie in ihr Herz drang, bis ganz hinein in ihre schlimmsten Gedanken, und sie auslöschte. Dass sie ihr Herz beschützte wie ein Ritter und im Inneren niemals aufhörte zu sein.